Wochen 13 & 14

Ich kriege die einmalige Möglichkeit mit den beiden sozialen Projekten "Beautiful Kidz" und "Môreson Special School" einen Einblick in das Leben der Kindern zu erhalten, die im Armenviertel "Katutura" aufwachsen.

Bevor ich euch nächste Woche von den beiden Projekten erzähle, versuche ich euch heute die Lebensumstände in Katutura zu beschreiben. Das Armenviertel im Norden Windhoek's entstand aufgrund der Rassentrennung während der Apartheid in den 50er Jahren. Die schwarze und farbige Bevölkerung sollte möglichst weit vom "weissen" Stadtzentrum in schlichten und armen Verhältnissen wohnen. Diese beinahe eigenständigen Orte hatten separate Einkaufsmöglichkeiten, Krankenhäuser, Kirchen, Schulen usw. Heute leben ca. 70'000 von den rund 350'000 Einwohner in diesem rasant wachsenden Stadtteil. Der Name kommt aus dem Otjiherero und bedeutet "Der Ort, an dem wir nicht leben möchten". Das Leben da ist wirklich nicht einfach. Die kleinen Häuser, sogenannte Shacks, sind oft ganz simple Blechbaracken. Je weiter man zurück ins Stadtzentrum kommt, desto eher sind die Häuser wieder aus Beton gebaut. Besonders am Rande des Vorortes gibt es unzählige einfache Blechhütten, darum wird Katutura auch als Township bezeichnet. Die meisten Bauten sind zwar mit Elektrizität und Wasser ausgerüstet, was aber nicht bedeutet, dass die Menschen sich diesen Luxus leisten können. Viele Gebäude und sanitäre Einrichtungen sind baufällig und schlichtweg nicht gepflegt. Die Räume sind sehr klein. Oft sind Küche, Wohn- und Schlafzimmer in einem Raum. Je weniger Räume, desto günstiger wird die Miete. Die Menschen hier wissen sehr gut, wie man sich mit ganz wenig über Wasser halten kann. Der Lebensstandard ist extrem tief und die Einwohner sind mit deutlich weniger Wohlstand zu frieden. Viele junge Männer sitzen den ganzen Tag nur vor dem Haus oder an der Strassenkreuzung, weil sie keine Arbeit finden. Die Arbeitslosenquote in Namibia liegt übrigens bei 33.4 Prozent -  für 15 - 19 Jährige bei 70 Prozent! Die Frauen kümmern sich um die Kinder und versuchen mit dem Verkauf von selbst gebackenem Brot, von Fleisch aus eigener Tierhaltung oder von Früchten/Gemüse ein Zusatzverdienst zu generieren. Oftmals sind die Frauen auf sich alleine gestellt, weil sich die Männer vor ihrer Verantwortung drücken und über alle Berge verschwunden sind. Grosseltern versuchen ihre Kinder und Enkelkinder zu unterstützen, obwohl die Renten sehr klein sind. Die Männer verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs als Gärtner, Handwerker, Taxifahrer, Ladenassistent, Parkplatzaufseher usw. Frauen arbeiten häufig als Reinigungskräfte, Kassiererinnen, Empfangsdamen in Lodgen usw. Falls das alles nicht genügt, dann betteln sie am Strassenrand um Geld. Sie haben meistens ein Schild neben sich, wo draufsteht, dass sie arbeitslos sind, Kinder zu versorgen haben und die Mieten bezahlen müssen. 

Im Winter wird es enorm kalt in den Blechhütten und im Sommer heizt die Sonne das Blech unerträglich auf. Die Dächer sind nicht wasserdicht und es gibt keine Spur von Isolation. Die Inneneinrichtungen wie Möbel sind alt und häufig aus zweiter Hand. Ironischerweise habe ich schon einige Flachbildfernseher in den Häusern gesehen. Es handelt sich dabei häufig um Secondhand Geräte oder Geschenke bzw. Erbstücke. Das Innere der Häuser wirkt generell schmuddelig und dreckig. Der Vorplatz bzw. Eingangsbereich ist meistens nicht geteert. So kommt ständig Dreck und Staub von aussen rein. Leider ist die Kriminalität in Katutura ziemlich hoch. Anstatt sich gegenseitig zu unterstützen, wird häufig gestohlen. Es ist leicht, in diese Blechhütten einzubrechen. Die Türen sind häufig nicht abgeschlossen oder schnell aufzubrechen. 

Dennoch herrscht eine besondere Atmosphäre in Katutura. Die Strassen sind im Gegensatz zum eintönigen Stadtzentrum voller Leben. Die Menschen sind zu Fuss unterwegs und grüssen sich gegenseitig. Es gibt unzählige Gemüse- sowie Früchteverkaufsstände, Grillbuden und Bars. Die vielen Kinder spielen auf den Strassen und machen Lärm. Die Eltern sitzen draussen auf dem Vorplatz oder im Garten und sprechen miteinander. Obwohl die Menschen aus verschiedenen Völkern abstammen, gibt es ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Leute wirken auf mich positiv eingestellt und sind zuversichtlich. Ganz nach dem Motto: "Weniger ist mehr". Heute sind die Umstände aber definitiv besser als früher. Man spricht darum immer häufiger vom inoffiziellen Matutura - "Ort an dem wir leben wollen". Es herrscht nicht wirklich ein Ungerechtigkeitsgefühl und die Einwohner sind nicht neidisch auf die wohlhabendere Bevölkerung in Windhoek, denn sie leben ja gerne in Katutura. 

 

Für mich als ziemlich einziger Weisser ist es ein komisches Gefühl durch diese Gegend zu gehen. Man zieht die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ich werde meistens nett gegrüsst. Einmal wurde ich sogar von einem jungen Mann gefragt, ob ich Arbeit für ihn hätte. In den Köpfen der schwarzen Bevölkerung ist das Vorurteil "Weisse Menschen sind alle reich und wohlhabend..." fest verankert. 

 

Persönlich finde ich es immer noch erschreckend unter welchen Umständen die Menschen in Katutura leben müssen. Letzte Woche zum Beispiel war ich im Katutura Hospital auf Krankenbesuch mit dem Pastor. Im Vergleich zu einem Schweizer Spital ein katastrophaler Anblick. Weil hier Menschen ohne Krankenversicherungen behandelt werden, ist der Eingang und die Notfallaufnahme völlig überfüllt. Wir haben den zu besuchenden Patienten beinahe nicht gefunden, weil das ganze Zimmerbelegungssystem nicht funktionierte. Das riesige Gebäude ist schlecht ausgeschildert und in einem renovierungsbedürftigem Zustand. So sind zum Beispiel Sitzgelegenheiten kaputt oder Treppengeländer abgebrochen. Schwer vorzustellen, an einem solchen unruhigen und unhygienischen Ort wieder gesund zu werden. Ich war jedoch auch in einer renommierten Privatklinik auf Krankenbesuch. Dieser Spital kann man eins zu eins mit einer Schweizer Klinik vergleichen. Die Kluft zwischen arm und reich in Namibia ist ähnlich wie in Südafrika ziemlich gross. 

Was ich sonst noch erlebte

Am letzten Dienstag durfte ich beim Seniorentreff eine Andacht halten. Ich habe den Senioren von der Jugend in der Schweiz und von den Problemen mit den Sozialen Medien erzählt. Das Thema hiess "Die grösste Herausforderung der heutigen Jugend: Wem soll ich folgen?" Am Nachmittag leitete ich meine erste Lektion im biblischen Unterricht zum Thema "Der Sonntag - (k)ein Tag wie jeder andere". Was ich an solchen Vorbereitungen mag -> Ich lerne selber viel Neues dazu und profitiere fast am meisten. Mit der Jugend und den Kindern der Stammi verstehe ich mich super. Sie sind mir schon sehr ans Herz gewachsen. Es macht Spass für sie Programme und Abende zu gestalten. Sie hören gut zu, machen mit und schätzen meine Arbeit sehr! :-) 

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Kommentare: 2
  • #1

    Papi (Dienstag, 23 Juli 2019 14:01)

    Hallo Samuel, ich habe heute Morgen deinen spannenden Bericht über Katutura gelesen und bin sehr froh, dass es so etwas in der Schweiz nicht gibt. Aber es tut sicher gut wenn man diese Armut einmal hautnah erlebt. So merken wir wieder, was für ein Überfluss uns geschenkt ist ! Viel Kraft für jeden neuen Tag wünscht dir Papi.

  • #2

    Desi (Mittwoch, 24 Juli 2019 08:37)

    Ich hoffe, ihr könnt mit den Projekten in Katutura viel Gutes bewirken. Heb Sorg..